1. Die Begegnung
1975 organisierte ich zusammen mit dem Filmclub der Universität von Clermont-Ferrand, wo das Kurzfilmfestival entstanden ist, eine dem Animationsfilm gewidmete Woche. Wir nannten sie Les journées du petit Miquet. In diesem Rahmen wurde auch das Programm Cinémation gezeigt, das nach der von Manuel Otero gegründeten Produktionsfirma benannt war. Wie Sie sich denken können, beinhaltete dieses Programm auch Filme unserer hier anwesenden Kollegen Claude, Daniel und Georges. Ein wenig später, im Jahr 1979, nahmen wir diese Anti-Disney-Filme, wie wir sie damals nannten, anlässlich der ersten Ausgabe des Festivals von Clermont erneut ins Programm auf: zwei Filme von Claude, zwei Filme von Daniel und drei Filme von Georges. Dann, im Jahr 1982, wurde das Studio GDS im Rahmen eines Fokus auf dem Schweizer Kurzfilm gewürdigt. 1994 war Georges Mitglied unserer Jury und im Wettbewerb liefen immer wieder Filme unserer Kollegen. Es soll hier nicht darum gehen, eine abschliessende Liste zu erstellen, sondern sich vor Augen zu führen, wie gross das Interesse an ihren Filmen war. Wunderbar daran ist vor allem, dass das, was für Clermont gilt, auch für Dutzende und Aberdutzende anderer Festivals auf der ganzen Welt gilt.
2. GDS
Als ich das Kürzel GDS zum ersten Mal gesehen habe, fragte ich mich natürlich, wie wohl viele unter uns, was es wohl bedeutet. Immer wieder – sogar hier, in den Dokumenten der Solothurner Filmtage – lese ich, dass die Buchstaben des Kürzels für die Initialen der Namen unserer drei Freunde stehen. Ich muss zugeben, dass ich daran enorme Zweifel hatte, denn ihre Namen ergeben SSL, SLS oder LSS – also weit entfernt von GDS. Dann dachte ich, dass es ihre Vornamen sein müssten: Claude, Daniel, Georges. Daraus ergibt sich jedoch CDG und dieser Name ist bereit von einem Pariser Flughafen [A. d. Ü.: Flughafen Charles de Gaulle] besetzt… wobei, wenn ich so darüber nachdenke: Georges wollte Linienpilot werden. Nein, hier stimmte etwas ganz und gar nicht! Paradoxerweise landete ich schliesslich bei Disney und fand die Antwort bei den sieben Zwergen, wie unsere Freunde ebenfalls Schlüsselfiguren des Animationsfilms. Zu ihnen gehören Grumpy, Doc und Sleepy. Das war eindeutig die Lösung des Rätsels: G für Grumpy, D für Doc und S für Sleepy. Auf Deutsch werden die Namen auch mit Brummbär, Chef und Schlafmütz übersetzt. Spätestens hier ist alles klar, wenn man unsere Freunde kennt. Ich überlasse es Ihnen, herauszufinden, wer wer ist…
3. Arbeiter
Nach der Wiederherstellung dieser historischen Wahrheit fragen Sie sich wahrscheinlich, ob diese Analogie zu den Gefährten Schneewittchens nicht etwas unpassend ist. Was finden Sie? Wer sind diese Figuren? Es sind fleissige Arbeiter, ja sogar Schwerstarbeiter, die weder Ruhetage noch Arbeitszeitverkürzung kennen. Sie gehen am Morgen zur Arbeit und schuften bis zum Abend mit Eifer, Schaufel und Pickel in der Mine, um Juwelen und Diamanten zu schürfen. Und kehren nach einem harten Arbeitstag nach Hause zurück. Das Gleiche gilt auch für Claude, Daniel und Georges, auch sie sind Schwerstarbeiter. Natürlich war ihr Weg nicht immer mit Rosenblättern bestreut, sondern ab und zu auch mit Stolpersteinen gepflastert. Denn der Entscheid für die Animation, den Kurzfilm und die Unabhängigkeit hat ihren Preis: jenen der physischen Energie, der geistigen Energie, der kreativen Energie und nicht zuletzt auch jenen des Geldes. Es ist ihnen aber gelungen, allen Verpflichtungen nachzukommen und seit einem halben Jahrhundert grossartige Werke zu produzieren. Das grenzt an ein Wunder… oder anders ausgedrückt: Es ist ein wahres Märchen!
Hier einige weitere Anhaltspunkte, falls einige meine Gedankengänge vertiefen möchten: Die sieben Zwerge sind wie unsere drei Freunde männlichen Geschlechts, der Mine der sieben Zwerge stehen die Bleistiftminen unserer drei Zeichner gegenüber, die sieben Zwerge singen von morgens bis abends und Musik spielt in den Werken des Studios eine wichtige Rolle…
3. Menschlichkeit
Während meinen Ausführungen wird mir bewusst, dass meine Argumentation auf etwas wackeligen Beinen steht. Es gibt nämlich doch etwas, in dem sie sich unterscheiden: Die Zwerge von Disney sind alles Schlaumeier. Dies trifft auf unsere Freunde aus Carouge absolut nicht zu. Ihre Bescheidenheit ist bemerkenswert. Ich habe erlebt, dass unbekanntere Künstler mit unbedeutenderen Werken den Kopf höher trugen als ihren IQ. Die Liebenswürdigkeit und die Zugänglichkeit unserer Freunde haben etwas Herzerwärmendes an sich. Ihr Talent nötigt uns bereits Respekt ab, ihre Menschlichkeit verstärkt ihn noch. Zwischen ihnen und uns gibt es keine Barrieren, keinen Snobismus, keine Förmlichkeiten… diese wichtige Tugend möchte ich besonders hervorheben.
4. Poesie
Wie ich vorhin erzählte, ist das Studio GDS 50 Jahre alt. Das Unternehmen Disney wurde 1923 gegründet und ist 100 Jahre alt. Disneys erster Langfilm Schneewittchen und die sieben Zwerge kam 1938 in die französischen Kinos. Ein gewisser Pierre Brisson (1896-1964), damals leitender Redakteur des Feuilletons des Figaro, sieht darin in seiner Filmkritik in der Ausgabe vom 8. Mai 1938 «den ersten Meilenstein eines riesigen Programms». Mit anderen Worten: Er sieht in diesem Film das ganze Potenzial des Zeichentrickfilms. Dies hindert ihn aber nicht daran, einige Teil des Films heftig zu kritisieren. Ich zitiere:
Der gesamte Teil "grosse Personen" wurde in einem beklagenswerten Stil behandelt. Die grünwangige Stiefmutter, die Schneewittchen umbringen will, scheint dem Prospekt für einen Fortsetzungsroman entsprungen. Das Schloss, in dem sie wohnt, sieht aus wie eine farbige Postkarte. Dem Märchenprinz mangelt es fürchterlich an Irrealität.
Mit einer unglaublichen Weitsicht schreibt er weiter:
In dem Moment, in dem der Zeichentrickfilm versucht, die Fotografie auszustechen, gerät er auf Abwege und verliert seinen Sinn. Ich [ ... ] wünsche mir [ ... ], dass eine Tradition entsteht und andere Träumer sich darauf einlassen, damit in Zukunft das wahre Wunder geschehen kann ... Ich weiss nicht, ob Sie den poetischen Wert und die Verheissungen dieser wundersamen Kunst gleich empfinden wie ich. Mir erscheinen sie enorm.
Ich würde diesem Herrn Brisson, der nicht lange genug gelebt hat, um die Werke von Studio GDS kennenzulernen, gerne sagen, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Das Wunder ist geschehen und insbesondere in der Schweiz haben die Poeten des animierten Bildes namens Claude Luyet, Daniel Suter und Georges Schwizgebel zu unserer Freude Werke erschaffen, die in die Filmgeschichte eingegangen sind. Natürlich nicht in die offizielle Filmgeschichte, die aus Absprachen mit dem gemeinen Kommerz besteht, sondern in die Geschichte der Kunst, die aus Fährten, Berührungen und Begegnungen esteht, die uns in Erinnerung bleiben wie Liebkosungen, die man nicht so leicht vergisst.
Bevor ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danke, bevor ich natürlich unseren drei Freunden Claude, Daniel und Georges für alles danke, was sie uns geschenkt haben, möchte ich zu guter Letzt noch etwas sehr Wichtiges sagen:
Sollten Sie eines Tages einem "Homme sans ombre" in einem "Carré de lumière" begegnen, der "Grimaces" schneidet, dann wissen Sie, dass Sie sich mitten in GDS, mitten im Grand Delirium Circus befinden.
Liebe Freunde, danke.
- Antoine Lopez