Zu ihrem 60-jährigen Bestehen schauen die Solothurner Filmtage auf ein Gebiet, an dessen Südfuss sie selbst zu Hause sind: das Jura-Gebirge. Was ist das Wesen dieser Landschaft, wie wurde sie filmisch erkundet? Die Retrospektive zeigt verschiedene Rollen, die der Jura auf der Leinwand spielt: Tatort, Westernkulisse und Spiegel der Innenwelt.
Von Baselland über die Neuenburger Täler bis weit nach Frankreich erstreckt sich der Jurabogen. Klusen, Tannenwälder, unterirdische Seen und sibirische Winter prägen diesen Landstrich. Ein frühes Zeugnis hinterliess er den Kameramännern der Firma Pathé vor über hundert Jahren. Es ist das Bild eines Zugs, der in einem Tunnel verschwindet und plötzlich wieder auftaucht – eine der ersten Rollen des Juras in der Filmgeschichte.
Ein junger Schauspieler
Aus geologischer Sicht ist der Jura ein junger Schauspieler – er ist erst 200 Millionen Jahre alt. Auf der Leinwand ist er weniger erfahren als etwa die Alpen, was ihn für eine filmische Werkschau umso interessant macht. Sein diskretes und geheimnisvolles Spiel hat grosse Namen des Schweizer und französischen Kinos wie Alain Tanner, Ursula Meier, Claire Denis oder Jean-Pierre Mocky inspiriert. In über 200 Kurz- und Langfilmen hat er mitgewirkt. Seine Hauptrollen, die berühmten gewordenen und die verborgen gebliebenen, zeigen wir in den 23 Programmen der Jubiläums-Retrospektive. Sie reichen vom mystischen Dekors bis zur Krimi-Landschaft, vom Stummfilm bis zum Blockbuster.
Tatort Jura
So geschmeidig der Hügelzug, so leidenschaftlich sind die Verbrechen, die sich hier abspielen. Mit Vergnügen empfängt der Drehort Jura Geschichten über Menschenhändler, Bankräuberinnen, zufällig getötete Drogenbarone… ja selbst eine Krankenschwester, die auf Kinder schiesst, ist hier zuhause. Etwas harmloser ist der Teenager Francis in Louise Courvoisiers «Vingt Dieux» (2024) – er klaut bloss Milch, um einen Käsewettbewerb zu gewinnen. Vieles ist möglich in dieser offenen, mitspielenden Landschaft, die sich als Grenzgebiet gern mit Schmugglern und Kleinkriminellen verbündet. Doch auch ein schweigsamer Kommissar kommt hier ans Ziel, sofern er – wie in «Les granges brûlées» (1973) – von Alain Delon gespielt wird.
Wilder Westen
Wer in die jurassische Landschaft hineinfährt, kann sich glücklich schätzen, eine Autopanne zu haben. Ein Pariser Architekt erlebt dies im Film «Passe Montagne» (1978), wo er vom Jura wundersam empfangen, vielleicht sogar gerettet wird. Regie führte der Schauspieler Jean-François Stévenin, der in der Gegend lebte und in dessen Augen der Jura eine Westernkulisse war. Ein stimmiges Bild, wenn man bedenkt, wie oft einsame Helden, mächtige Frauen und Pferde dieses filmische Terrain bevölkern. Dabei ist die Jura-Landschaft selbst nur sanft gefaltet. Wer in sie hinausblickt, verspürt «Erleichterung» – vom harten Leben oder von einem wilden Herz, wie Rose-Hélène im ersten Langfilm (1983) von Marcel Schüpbach. Als Echo auf den inneren Weg der jungen Frau bietet das Filmprogramm – begleitet von einer Ausstellung im Kunstmuseum Solothurn und der Publikation von «Transhelvetica» – eine Reise durch die Zeit, ohne jemals den Ort zu wechseln.